Es gibt Dinge, die man tun muss. Obwohl man sie nicht gerne tut. Ich gehe nicht gerne zum Arzt. Zum Arzt gehen bedeutet, dass man krank ist. Krank sein bedeutet, dass man nicht so funktioniert wie man es gerne hätte.
Heute musste ich zum Arzt. Zuvor holte ich mir als Leselektüre (welcher Arzt hat immer die aktuellen Zeitschriften ausliegen?) die heutige (Montag, 29. Juni 2009) Bruchsaler Rundschau. Ich bin kein Privatpatient. Daher musste ich warten. Die Wartezeit überbrückte ich mit Lesen.
Auf Seite 23 der Bruchsaler Rundschau stach mir dann die Überschrift einer Anzeige ins Auge, die mich in meiner aktuellen Situation ansprach: „Patientinnen und Patienten! Wir sind dann mal weg!“. Diese Anrede ist schon etwas forsch: „Patientinnen und Patienten!“ Man hätte wirklich etwas höflicher zu seinen Kunden sein können und „Liebe Patientinnen und Patienten!“ schreiben können.
Ich las weiter: „Am 1. und 2. Juli bleiben die Arztpraxen geschlossen.“ Da hatte ich ja noch Glück gehabt. Ich war heute bei meinem Hausarzt. „Wir machen eine „Weit-Fort-Bildung““. Aha, jetzt wurde es interessant. Hier waren kreative Köpfe am Werk. Ein Anwärter für das Unwort des Jahres 2009 wurde kreiert. Nun, abgesehen von dieser abstrusen Wortkreation, eine gute Sache. Fortbildung ist immer gut. In jedem Beruf. Ohne Wenn und Aber.
„Wir sind es leid, umsonst Leistungen zu erbringen und uns dafür auch noch beschimpfen zu lassen.“ Jetzt schaute ich, von wem die Anzeige überhaupt war. Als Autoren outete sich (kleines Wortspiel, nicht so der Bringer) die Kraichgauer Ärzteschaft, vertreten durch Dr. Geert Wenzel und PD Dr. Dieter Hassler. Aha! Jetzt wurde für mich die Sache etwas klarer. Es geht wohl darum, dass die Ärzteschaft der Ansicht ist, nicht genug zu verdienen. Und dies trotz der dreißig Milliarden, die mittels der Gesundheitsreform den Ärzten für die ambulante Versorgung zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden. Bereits im Jahre 2006 verdiente ein Hausarzt nach Abzug der Praxiskosten im Durchschnitt 84.240 Euro: Artikel im Tagesspiegel zum Thema. Hinzu kommen noch die Einnahmen aus der Behandlung von Privatpatienten, die je nach Reputation des Arztes beträchtlich sein können.
„… und uns dafür auch noch beschimpfen zu lassen.“ Sorry, das ist reine Polemik! Ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der seinen Arzt beschimpft. Ich persönlich fühle mich bei „meinen“ Ärzten sehr, sehr gut aufgehoben. Meinen Bekannten geht es genauso.
„Die Politiker der großen Koalition interessieren sich offensichtlich nicht dafür, wie die medizinische Versorgung der Bevölkerung leidet. In wenigen Jahren wird es in vielen Dörfern keine Ärzte mehr geben.“ Jetzt wird ein neues Fass aufgemacht. Während es bisher um den Verdienst der Ärzte ging, soll es jetzt um die Patientinnen und Patienten gehen. Und die Zielrichtung der Patientenaussperrung wird schwammig und eiernd. Warum werden jetzt die Praxen geschlossen? Wegen der Einkommenssituation der Ärzte? Oder wegen der leidenden medizinischen Versorgung der Patienten?
Lesen wir weiter: „CDU und SPD stört das nicht. Von unseren Bundes- und Landtagsabgeordneten hört man kein Wort! Nur Herr Lauterbach talkt sich durch alle Kanäle und weiß Alles, obwohl er noch nie selbst Patienten in der Praxis behandelt hat.“ Den letzten Satz vergessen wir bitte gleich. Das ist ein unangenehmer, unsachlicher Angriff auf einen Politiker, der nach meiner Meinung am klarsten zu dem Thema Gesundheitsreform diskutiert. Den Satz „CDU und SPD stört das nicht“ sollte man aber näher anschauen. Was wollen die Autoren mit dieser Aussage erreichen? Dass man diese Parteien nicht wählt, dass man radikal wählt, dass man gar nicht wählt? Wen schlägt die sogenannte Freie Kraichgauer Ärzteschaft zur Wahl vor? Die Linke? Die F.D.P.? Die Republikaner? Die Piraten?
Nichtsdestotrotz. Die Anzeigenverfasser haben Recht mit ihrem Hinweis, dass es in der Zukunft ein Problem bei der Ärzteversorgung im ländlichen Raum geben könnte. In vielen dörflichen Gebieten – besonders im Osten unserer Republik – ist dies schon Realität. Ärzte lassen sich lieber in Großstädten nieder, da dort die Verdienstmöglichkeiten wesentlich besser als auf dem Lande sind. Gerade auch um diesen Missstand aufzufangen, wurden 30 Milliarden Euro zusätzlich ins Gesundheitssystem gepumpt. Vielleicht auch noch dies: Die Gesundheitsreform wurde von der Standesvertretung der Ärzte, den Kassenärztlichen Vereinigungen, mitverhandelt. Diese haben der Gesundheitsreform zugestimmt.
Vielleicht sollten die Kraichgauer Ärzte nicht zu Lasten der Kranken ihre Praxen für eine „Weit-Fort-Bildung“ schließen, sondern den Dialog mit ihrer Standesvertretung suchen.
Auch wenn „Ein Notdienst … in der Zollhallenstraße in Bruchsal organisiert (ist)“. Für alte bzw. kranke Menschen ist das Aufsuchen dieses Notdienstes nicht einfach. Und die Aussage „Wir bieten Ihnen an diesen Tagen einen Vorgeschmack auf kommende Zeiten“ ist einfach nur abgeschmackt und zynisch. Es passt nicht, sich als Sachwalter der Patientinnen und Patienten zu gerieren und dann so verächtlich mit den gleichen Personen umzugehen.
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, bis ich aufgeschreckt wurde durch den Ruf der Sprechstundenhilfe: „Rolf, du bist dran“. Mein Arzt fragte mich nach der Begrüßung „und, wie geht’s“, ich schilderte ihm meine derzeitige gesundheitliche Situation – und fand den Glauben an „meine“ Ärzte wieder.
P.S.: Zu „An den Universitäten werden Medizinstudienplätze gestrichen statt vermehrt“ werde ich meinen Neffen befragen. Der studiert in Heidelberg Medizin.